Corona Krise und Beschulung von Kindern mit Autismus

Vera Bernard-Opitz

 

Ich habe gestern ein Photo bekommen von einem weiß getünchten Gartenhaus mit der Aufschrift „Welcome to 3-rd Grade“. Es war weit geöffnet zur grünen Wiese und zeigte einen Lehrer mit sieben Kindern (hier nicht abgebildet) die mit „Corona Abstand“ und Kopfhörern am Online Unterricht teilnahmen. Das Bild stammt aus meiner Zweitheimat, dem Pandemie-geplagten Südkalifornien. Aufgrund der hohen Infektionszahlen ist hier online Unterricht solange die Norm bis sich die Ansteckungsgefahr verringert. 

 

Derzeit suchen besonders Eltern im Home-Office nach individuellen Lösungen für die Beschulung ihre Kinder. Denn selbst Regelschüler können sich mit „multi-tasking“, Chats, Emails und Google-Suchen während des online Unterrichts herrlich die Zeit vertreiben und so nur halb so effizient lernen wie im Normalunterricht.  Allerdings können die meisten Eltern von obigen Kompromissen bei denen ein Privatlehrer Kleingruppen beim Online Unterricht betreut nur träumen.

 

Speziell für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Autismus, ihre Eltern, Lehrer und Schulbegleiter waren die vergangenen Monate der Corona-Zeit besonders schwer. Bekannterweise leiden sie häufig an Veränderungsängsten und halten daher gern an vertrauten Routinen fest. So waren der Wechsel von der normalen Alltags- Schul- oder Berufsroutine, das Tragen von Masken, das ständige Desinfizieren oder Hände waschen sowie Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit für viele eine riesige Herausforderung. 

 

Besonders den nicht-verbalen, stärker Betroffenen konnte man die „neue Normalität“ nicht verständlich machen. Viele mussten allein von ihren Eltern, Familienangehörigen oder Nachbarn betreut werden, da man nicht sicherstellen konnte, dass sie den Sicherheitsabstand und die Hygieneregeln einhalten konnten. Gut gemeinte Aktionen von Lehrern mit „Wir vermissen Dich“ Schildern oder Online Liedern konnten da auch nur wenig helfen.

 

Highlights während der Krise

Andererseits gab es auch positive Erfahrungen im letzten halben Jahr und vielleicht können die richtungsweisend sein falls es erneut zu Ausfall des Präsenzunterrichts kommt.

  • Schulen und Eltern haben sich (etwas) mehr auf Online-Lernen eingestellt.
  • Mittel für Online Unterricht werden zunehmend zur Verfügung gestellt und Fortbildungen für online Unterricht stärker genutzt.
  • Einige Verlage haben online-Materialien oder Lern-Apps kostenlos zur Verfügung gestellt.
  • Manche Schulen haben gezeigt, dass regelmäßiger Online Schulbeginn  um 8:00 Uhr früh und Einbezug spannender Medien möglich ist und die Schüler motiviert. 
  • Während der letzten Monate waren einige Schüler mit Autismus froh mehr Freizeit zu haben und so ihren technischen, sportlichen oder Computer-Hobbys intensiver nachgehen zu können.
  • Einige Lehrer haben individuelle Lösungen für Betroffene mit Autismus gefunden, wie regelmäßige 2- bis 4-stündige Betreuung in einem abgeschiedenen Klassenzimmer.
  • Schulbegleiter und Co-Therapeuten von ABA/AVT Teams haben ihre „Schützlinge“ intensiv außerhalb des Klassenverbands (z.T. in ihrem eigenen Zuhause) gefördert.
  • Einige Kinder haben sogar besser als in den Inklusionsklassen gelernt und in der Corona-Zeit größere Fortschritte gemacht als in den Wochen davor.
  • Online-Beratung hat offensichtlich in einigen Ärzte-, Psychologen- und Therapiepraxen sowie einigen der Autismus Kliniken Einzug gehalten.

 Das Beste kombinieren

„Take the best of both worlds“ schrieb vor einigen Jahren ein Gast in unser Gästebuch, als wir uns zwischen Deutschland und den USA entscheiden mussten. Was heißt das, wenn die Pandemie uns noch länger begleitet für die „on/offline-Beschulung“ von Kindern mit Autismus?

  • Die beim online Unterricht stärkere Strukturierung des Arbeitsmaterials kann Betroffenen in jedem Fall helfen.
  • Die Verfügbarkeit und der Einsatz von Medien im Unterricht wie Kommunikations-/Lern-Apps und Videos kann motivieren und Fortschritte erleichtern.
  • Das Schaffen von räumlicher Distanz und Einzel- oder Kleingruppenunterricht kann für Schüler mit Autismus Stress-reduzierend sein.  Für einige von ihnen ist sogar eine Maske eine willkommene Möglichkeit weniger sozial sein zu müssen!
  • Durchsichtige Trennscheiben, Kappen (oder wie von einer Mutter vorgeschlagene Fahrradhelme) mit Spuckschutz und visuelle Markierungen können auch stärker beeinträchtigen Schülern die Teilnahme am Unterricht in Kleingruppen ermöglichen.
  • Eltern, Lehrer und Schulbegleiter, die in Verhaltens- und Lernstrategien trainiert sind, können sich leichter auf beide Beschulungsmöglichkeiten einstellen.
  • Gut ausgebildete und supervidierte Schulbegleiter oder Co-Therapeuten können für Betroffene eine Riesen-Chance sein, da sie Kontinuität zwischen den verschiedenen „Schulwelten“ ermöglichen.

Konkrete Ideen

Vielleicht haben Sie weitere „gute Ideen“ für diese schwierige Zeit und teilen Sie uns mit! Wir können im nächsten Blog über Möglichkeiten reden, die Pandemie Kindern mit Autismus zu erklären, Abstand zu halten oder selbst Sozialverhalten online zu fördern.

 

Auch wenn man keine Gartenhaus-Alternative für Schüler mit Autismus anbieten kann, können positive Entwicklungen in verschiedenen Ländern Chancen aufzeigen ... vielleicht sogar die dass sich Beschulung für Betroffene mit Autismus auch nach der Pandemie verbessert.